Abschied von András

András schaut sich durch die dicke Brille um. Er greift mit zwei Fingern sein Colaglas, spreizt vornehm den kleinen Finger ab und raunt der Kellnerin zu: Fräulein, sagen Sie – was stellt dieses Bild dar? Es ist wohl eines der wenigen Male, dass er überhaupt in einem Restaurant ist.

András ist ein stilles Wasser. Deswegen mag ich ihn. Deswegen fange ich an, mit ihm zu drehen. Die Rabauken und die Poser sind Legion hier an der Ambedkar-Schule, der buddhistischen Schule für Roma-Kids in diesem ungarischen Dorf. Sie kommen und gehen. András ist jeden Morgen da. Seit Jahren. Sitzt da und füllt langsam und bedächtig seine Arbeitsblätter aus. Die Schule ist ein Stück Heimat für ihn. Keine Rennbahn zu einem Ziel.

Wenn András träumt, dann von einem Haus am Meer. Er weiß, dass das Träume sind. Aber er träumt gern.

András sitzt auf dem Grab seines Vaters. Warum muss es überhaupt diesen verdammten Tod geben, philosophiert er, und zieht lässig an einer Zigarette. Warum können wir nicht ewig leben? András‘ Vater ist gestorben, als er zwölf war. Die Mutter hat ein prachtvolles Grab machen lassen. Mit Engeln. Es muss sie ein Vermögen gekostet haben. András‘ Mutter lebt von Sozialhilfe, Gelegenheitsjobs und Metallsammeln. András ist das letzte Kind, das noch nicht aus dem Haus ist, mit Mitte zwanzig. Sie braucht ihn. Er braucht sie. Während die Burschen in seinem Alter an den Ecken der Romasiedlung stehen und mit gekreuzten Armen das Terrain sondieren, trägt er seiner Mutter Einkäufe nach Hause.

András ist ein Experte des Waldbodens. Mit Kennerblick unterscheidet er den Butterröhrling vom Saupilz. Ich würde ungesehen jedem Pilzgericht vertrauen, das er mir vorsetzt.

András ist zwar langsam, aber schlau. Diesen Frühjahr sagt mir der Lehrer János, sie fangen jetzt an, ihn für die Matura fitzumachen.

Vorgestern telefoniere ich mit János. Seine Stimme ist belegt. Er sagt, András hat einen Tumor im Kopf gehabt. Das Begräbnis ist am Freitag. Ich kann nicht da sein. Ich glaube, er wird in dem schönen Grab bei seinem Vater liegen. Viele Roma aus der Sólyom-Siedlung werden da sein. Und die ganze Ambedkar-Schule. Die Trauergesänge werden weit im Tal zu hören sein.

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