Glauben, Leben, Sterben – Stefan Ludwig im Interview

Glauben, Leben, Sterben – Menschen im Dreißigjährigen Krieg wird am 25. Juni 2018 um  22:30 in der ARD erstausgestrahlt.

Fragen: Agnes Töllner, Presse und Information Das Erste

Wie nähern Sie sich dieser Zeit vor 400 Jahren an, die große Teile Europas erfasste und mit ihren verheerenden Folgen zu einem der größten Traumata Europas zählt?

Ich versuche mich in individuelle Schicksale hineinzudenken. Was haben die Menschen in dieser Zeit gedacht, gefühlt, geglaubt?

Wie gehen Sie vor, diesen historisch schwierigen Stoff lebendig und anschaulich zu machen, aus welcher Perspektive nähern Sie sich diesem Thema?

Die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs ist ja unglaublich dramatisch – und das liegt nicht nur am Krieg. Da passieren zum Beispiel riesige Fortschritte in den Naturwissenschaften, der Finanzkapitalismus entwickelt sich, der Handel blüht. Und auf der anderen Seite sind die meisten Menschen immer noch ganz tief in der Transzendenz verwurzelt, die ewige Seligkeit ist das höchste Ziel im Leben – die düsteren Kehrseiten davon sind Religionskrieg und Hexenverfolgungen. Meine Herausforderung als Filmemacher war: Wie kann ich mich Menschen annähern, deren Ängste, Glaubensvorstellungen und Überzeugungen uns heute so fremd sind? Ich will sie ja nicht als rückständige Idioten zeigen, sondern ihnen gewissermaßen auf Augenhöhe begegnen. So kam ich auf die Idee, es mit einem Kunstgriff zu versuchen: Eine Reporterfigur (die Stimme von Adele Neuhauser) reist in die Vergangenheit und stellt den historischen Figuren Fragen. Sie kommt den Protagonisten dabei einerseits sehr nahe – auf der anderen Seite bringt sie immer eine heutige, moderne Perspektive mit ein.

Sie stellen fünf Personen in den Vordergrund, die historisch verbürgt sind, von denen es Lebensaufzeichnungen gibt. Wie haben Sie die gefunden und wie schwierig gestaltete sich die Recherche

Mir war wichtig, nicht noch einmal von den großen Gestalten wie Wallenstein oder Gustav Adolf zu erzählen, sondern von Menschen aus der zweiten und dritten Reihe. Zum Glück sind inzwischen eine Vielzahl von spannenden Selbstzeugnissen bekannt – vom Schuster bis zum Bankier. Etwa das Tagebuch der Augustinernonne Klara Staiger, das in meiner Heimstadt Eichstätt entstanden ist: Eine wunderbare Quelle über das Alltagsleben dieser Zeit. Da ist von Krieg und Plünderungen ebenso die Rede wie vom Speiseplan im Kloster, von den Lebensmittelpreisen und von Klatsch und Tratsch in einer Kleinstadt. Ich habe mich in die Quellen wirklich vergraben und versucht, in den Spielszenen möglichst viele realistische Einzelheiten zu rekonstruieren. Unser Requisiteur hat nach Klara Staigers Tagebuch das Original-Klostergebäck von 1630 nachgebacken, und in einer Szene spielen wir mit echtem Inflationsgeld der 1620er. In anderen Episoden musste ich mich auf die Fantasie verlassen. Bei der oberösterreichischen Bäuerin Marta Küzinger bin ich von einem Kirchenbucheintrag ausgegangen, in dem steht, dass sie 80jährig starb. Wegen ihres evangelischen Glaubens wurde sie aber nicht auf dem katholischen Friedhof, sondern in ihrem Garten begraben. Das ist eine dürre Zeile, aber sie sagt unglaublich viel über eine Frau, die ihr Leben lang standhaft ihren Glauben bewahrt hat.

Der 30-jährige Krieg gilt als Glaubenskrieg und als „Sündenfall“ der christlichen Welt. Wie wird er heute von den Historikern bewertet? Gibt es so etwas wie Lehren, die heute aus diesem Konflikt gezogen werden?

Historiker wie Christoph Kampmann und Konfliktforscher wie Herfried Münkler beschäftigen sich intensiv mit den Parallelen des Dreißigjährigen Krieges zu heutigen Konflikten. Es gibt sogar ein ganzes Forschungsprojekt, initiiert vom Auswärtigen Amt, der Körber-Stiftung und der Uni Cambridge, in dem man sich mit der Möglichkeit eines „Westfälischen Friedens“ für den Nahen Osten beschäftigt. Auf den ersten Blick wirken die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges ja wie blanke Barbarei, getrieben von religiösem Fanatismus. Aber da stimmte damals ebenso wenig wie im heutigen Nahen Osten. Natürlich gibt es die Fanatiker und ideologischen Scharfmacher, aber die meisten Akteure handeln aus ganz konkreten geopolitische Interessen und auch Ängsten. Will man Frieden machen, muss man die religiösen Verbrämungen wegnehmen und sehr ehrlich die Interessen dahinter freilegen.

Welche Auswirkungen dieser Katastrophe strahlen noch in unsere Zeit hinein?

Es gibt konkrete Spuren im Boden – etwa die eindrucksvollen Knochenfunde aus Massengräbern, die noch heute immer wieder bei Bauarbeiten auftauchen und die erschütternde Geschichten erzählen. Und dann gibt es die Spuren auf der Landkarte: Deutschland ist heute ein föderaler Staat, in dem die Länder und Regionen viel zu sagen haben. Manche Forscher sagen, wenn der Dreißigjährige Krieg anders ausgegangen wäre und der Kaiser seinen Willen durchgesetzt hätte, hätte sich das Reich – das spätere Deutschland – in einen stärker zentralistisch regierten Staat entwickeln können, so ähnlich wie Frankreich. Aber das ist eine Hypothese unter mehreren. Wie es beim Dreißigjährigen Krieg überhaupt zu fast jedem Thema gegensätzliche Meinungen gibt. Das macht es so spannend.

Inwieweit hat sich die Rolle der Kirche dadurch verändert?

Zu Beginn des Krieges waren viele Fürsten der Meinung, sie können kein Land regieren, in dem die Untertanen eine andere Religion haben als sie selbst. Religion und Politik gehörte einfach untrennbar zusammen. Entweder hatten die Katholiken recht und die Lutheraner waren für die Hölle bestimmt, oder umgekehrt. Nach dem Krieg gab es diesen Ansolutheitsanspruch zwar immer noch. Aber man hatte gelernt, die theologischen Streitereien im politischen Alltag beiseite zu legen. Stattdessen wurden Fragen der Glaubenspraxis bis ins kleinste Detail geregelt. Es wurde genau festgelegt, welche Konfession wo Kirchen aus Stein oder aus Holz bauen darf, wer wo Glocken läuten darf und dass etwa der dritte Stadtschreiber von Dinkelsbühl evangelisch sein muss. Einfach weil jeder Angst hatte, vom anderen wieder dominiert zu werden.

Wie fern oder nah ist uns dieser Glaubenskrieg heute?

Es ist schon eine seltsame Ironie, dass wir heute wieder über Kreuze, Kippas und Kopftücher diskutieren. Natürlich schlagen sich in Mitteleuropa heute nicht mehr Katholiken und Protestanten die Köpfe ein. Aber in der Weltpolitik sind die Zutaten des Dreißigjährigen Krieges zurückgekehrt. Wir haben eine Weile geglaubt, Religion würde einfach ins Private verschwinden, als Teil einer individuellen Sinnsuche – stattdessen erleben wir, wie Religion als wichtiger Marker zurückkehrt, um Nationen und Bevölkerungsgruppen gegeneinander abzugrenzen. Am Dreißigjährigen Krieg kann man sehen, wie Geopolitik und Religion auf fatale Weise zusammenspielen können.

Daniel Kehlmann versetzt in seinem jüngsten Roman „Tyll“ die Figur des Tyll Eulenspiegels in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs und erzählt von den seelischen Verwüstungen durch Gewalt und wie notwendig es für das Individuum ist, List und Gauklerei einzusetzen, um überleben zu können. Ist das auch Ihre Quintessenz aus der Beschäftigung mit diesem Thema?

Beim einen mag es List und Gauklerei sein, beim anderen – wie unserer Augustinernonne – der tiefe Glaube, dass das Leid als Strafe Gottes einen Sinn hat. Und viele – so wie unser Peter Hagendorf – sind einfach seelisch verwüstet, da gibt es kein Mittel dagegen. Mir war es wichtig, dass keine der Figuren, auch der Kriegsgewinnler und der vergewaltigende Söldner, nur böse sind, sondern dass alle auch ihre tragische Seite haben.

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